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Ferdinand Hodler (1853-1918) 
Der Holzfäller
1910, Oel auf Leinwand,
131,5 x 106 cm Privatsammlung (Kanada) 

 

Vergegenwärtigung und Bild
Beiträge zur Phänomenologie der Unwirklichkeit
(*)

von Eugen Fink

§ 32. Die Bildwelt

Vergegenwärtigen wir uns eine exemplarische Bildgegebenheit, etwa Hodlers „Holzfäller“, also ein Bild, das da an der Wand hängt. Ihm betrachtend zugewendet, sehen wir „einen Mann, der einen Baum fällt und der inmitten eines Waldes steht“ usw. Wir sehen sozusagen in eine Bildwelt hinein. Diese Bildwelt hat ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeit. Zunächst haben wir auf dem Bilde die Nahsphäre der Bildwelt, die sich dann in den offenen Horizont ihrer Räumlichkeit verliert. Die Bildweltgegenstände sind keine Gegenstände im wirklichen Raum und dauern auch nicht in der wirklichen Zeit, sondern einzig im Bildweltraum und der Bildweltzeit. Prinzipiell ist in der Bildwelt ständig Gegenwart, mag es sich um ein starres oder fließendes Bild handeln. Zu dieser Gegenwart gehört auch eine bildweltliche Zukunft und eine bildweltliche Vergangenheit. „Eben schwingt der Holzfäller die Axt, gleich wird sie in den Stamm fahren.“ Die Vergangenheit weist sich etwa aus an den historischen Charakteren der präsenten Bildweltgegenstände: „im Walde stehen alte und junge Bäume“. Ist hier nicht alles genau so wie bei den Vergegenwärtigungen? Offenbar nicht. Die Anschaulichkeit der Bildwelt ist wesensmäßig eine präsentativ-impressionale Anschaulichkeit, Bildbewußtsein ist gegenwärtigendes Bewußtsein, so nämlich, als es durch und durch urstiftendes Bewußtsein ist. Die Bildwelt ist absolut eindeutig bestimmt, soweit ihre Anschaulichkeit reicht; sie hat ferner auch keine temporalen Fernecharaktere in sich, die sie als vergangen, zukünftig oder möglich charakterisieren, sondern sie ist gegenwärtig, an ihr selbst zugänglich. Aber ist nicht die Bildwelt ein „Unwirkliches“? „Unwirklichkeit“ besagt hier offenbar etwas von Grund auf anderes als bei den Vergegenwärtigungen. Handelte es sich dort immer um die Unwirklichkeit einer Imagination, also eine Unwirklichkeit, die im Wesen der Zeitlichkeit und nicht der thematischen Gegenstände liegt, so geht es hier einzig um eine „Wirklichkeit“, die im präsentativ-urgestifteten Gehalt einer bestimmten Erlebnisart liegt. Die Unwirklichkeit einer Bildwelt kann wesensmäßig nur ein abstraktes Moment einer bestimmten Wirklichkeit sein, oder mit anderen Worten: die Unwirklichkeit einer Bildwelt ist nur, solange sie umgriffen wird von der Gesamtwirklichkeit des Bildes, das die mediumbildende Einheit von Bildwelt und Träger ist. Wesentlich ist, daß wir beim Bildbewußtsein nicht im noematischen Gehalt ein wahrnehmungsmäßig Gegebenes, etwa den realen „Träger“ haben und an diesem irgendwie indiziert oder hinzuphantasiert die Bildwelt. Sondern Bild als das einheitlich untrennbare Ganze ist ein wahrnehmungsmäßiges Korrelat. Bildwahrnehmung ist eine bestimmte Art von Wahrnehmung, die ihren eigenen genuinen Erfüllungs- und Bewährungsstil hat, wie er eben durch das Wesen des Gegenstandes vorgezeichnet ist. Bildwahrnehmung ist ein medialer Akt, d.h. eine Erfahrungsweise, die in sich selbst ein originäres Worin einer „Unwirklichkeit“ konstituiert. Die „Unwirklichkeit“ der Bildwelt ist ein strukturales Moment am medialen Aktkorrelat, mit anderen Worten die Unwirklichkeit ist ein wirklicher „Schein“. („Schein“ verstehen wir hier nicht als Täuschung, sondern in dem Sinne, in welchem man z.B. von der Kunst als der „Welt des Scheins“ redet.). Wie die mediale, d.h. in einer Wirklichkeit eine „Unwirklichkeit“ bergende und sie darin aufnehmende Intentionalität des Bildbewußtseins konstitutiv strukturiert ist, lassen wir außer Frage.

 

§ 33. „Verdecktheit“ des Trägers

Die Bildwelt ist, wie wir sahen, dasjenige, was zunächst zur Explikation gelangt, wenn man ein Bild beschreibt. Sie ist also das, was eigentlich ein Bild zu einem Bilde macht, das, was im thematischen Interesse steht. Der Träger interessiert uns zumeist nicht, wenn wir auch ständig implicite um ihn wissen. Wie ist uns der Träger gegeben? Zunächst bedarf es einer Präzisierung. Unter Träger verstehen wir keineswegs das ganze wirkliche Ding: Leinwand, Rahmen usw., sondern nur das Schlichtwirkliche, sofern es sich mit der Bildwelt deckt. Z.B. also nur die Oberfläche der Leinwand, die wirklichen Striche und Farben usw. Nur als Überdeckter steht ein wirklicher Gegenstand in der Trägerfunktion. Die „Verdecktheit“ des Trägers ist die genuine Weise seiner Gegebenheit. Verdecktheit heißt aber nicht Unsichtigkeit. Es handelt sich hier nicht um eine attentionale Modifikation, sondern um eine wesenhafte Struktur des Bildbewußtseins. Solange Bildbewußtsein einheitlich fungiert, ist der Träger in einer anonymen Funktion. Diese Anonymität hat den spezifischen Charakter einer selbstverständlichen Mitgegebenheit. Z.B. ein Spiegelbild im Wasser „verdeckt“ das Wasser in einer eigenartigen Überdeckung. Diese verdeckende Überdeckung ist aber eine solche, daß durch sie hindurch die Realität des Trägers scheinen kann: sie hat eine gewisse „Durchsichtigkeit“. Diese Durchsichtigkeit der Bildwelt ist kein innerbildweltliches Moment, sie hat in ihr keine Förderung noch Gegenwirkung. Andererseits gehört die „Verdeckung“ auch nicht der realen Welt zu, sondern macht gerade das „Zwischen“ von Bildwelt und Trägerwelt aus, ist die Weise der Lokalisation der Bildwelt in der wirklichen Welt, am Träger. In dieser Verdeckung, die wir lediglich beschreiben, ohne sie konstitutiv aufzuklären, verkettet sich der Bestimmungsgehalt der Bildwelt mit dem Bestimmungsgehalt des Trägers: z.B. „dieselbe“ rote Farbe ist einmal der rote Bestrich des Stückes Leinwand und ist auch die rote Farbe des Abendhimmels der Bildwelt. Wie weit diese Verkettung reicht und wie sich jeweils von den realen Trägerbestimmungen Bestimmungen der Bildwelt tragen lassen, aber doch nicht zusammenfallen, gehört schon in die konstitutiven Untersuchungen.

Für unsere Absicht müssen wir ein Wesentliches herausheben. Bildweltliche Bestimmungen sind wesensmäßig abhängig von den realen Trägerbestimmungen. Faßt man die Vergegenwärtigungen als ein Bildbewußtsein auf, so ist erst der Nachweis dafür zu erbringen, daß wir nicht nur einen impressionalen Träger haben, sondern auch, daß in den impressionalen hyletischen Daten vergegenwärtigte Daten sich abbilden.

 

§ 34. Bild als „Fenster“ in die Bildwelt

In der phänomenalen Unabtrennbarkeit des ständig „übersehenen“ Trägers und der in ihr wurzelnden Verkettung des Bestimmungsgehaltes der wirklichen und unwirklichen Seite des Bildphänomens kommt zum Ausdruck, was wir die Fensterhaftigkeit eines Bildes nennen wollen. Die Bildwelt mit ihrem Raum, mit ihren Gegenständen in eigenen Größenverhältnissen, deckt sich zwar mit dem Raum des Trägers. Aber man kann nicht sagen, sie wäre eben so groß. Vielmehr ist das ganze Bild gleichsam nur ein kleines „Fenster“ in die Bildwelt hinein. Die Bildwelt ist so wenig in der Fläche, wie die draußen gesehene Landschaft im wirklichen Fenster ist. Natürlich ist die Rede vom Fenster nur ein Gleichnis. Die Landschaft draußen und der Raum des Zimmers stehen in der Einheit einer Welt, während zwischen Bildwelt und der Räumlichkeit des Trägers keine Einheit besteht. Was wir aber mit der Rede von der Fensterhaftigkeit des Bildes abheben wollen, ist dies: jede Bildwelt öffnet sich wesensmäßig in die wirkliche Welt hinein. Der Ort dieses Sichöffnens ist das Bild. Ohne das, das Sichöffnen vermittelnde, Fenster könnte die Bildwelt überhaupt nicht sein, eine fensterlose Bildwelt ist in sich widersinnig. In dieser Fensterstruktur des Bildphänomens liegt die eigenartige „Ichspaltung“ des Bildbetrachtenden begründet. Einmal ist er Subjekt der realen Welt, der das Bild als Ganzes, nicht bloß etwa als Träger, sondern das Bild als Korrelat eines medialen Aktes angehört. Aber die Bildwelt hat durch das „Fenster“ hindurch eine Orientierung auf den Betrachter hin, ist perspektivisch auf ihn hingeordnet. Im Vordergrund der Bildwelt, sozusagen dem Fenster am nächsten, zeigt sich die bildweltliche Nahsphäre, die dann in immer weitere Fernen übergeht. Der Bildbetrachtende fungiert als das Zentrum der Orientierung der Bildwelt zugleich auch als Subjekt dieser Bildwelt. Die nähere Analyse dieser Ichspaltung müssen wir uns versagen, da sie sofort in die konstitutiven Zusammenhänge des Bildbewußtseins hineinführt. Mit dem Begriff „des Fensters“ als einer Wesensstruktur des Bildphänomens haben wir den Grundbegriff gewonnen, der einer eingehenden intentional-konstitutiven Bildanalyse zugrunde gelegt werden muß. Das „Fenster“ mit seiner realen und unwirklichen Seite ist das eigentliche noematische Korrelat des medialen Aktes „Bildbewußtsein“, ist also nichts anderes als das reine Bildphänomen selbst. Mit diesem in seiner Auswirkung noch völlig verhüllten „Resultat“ brechen wir unsere Analyse des Bildbewußtseins ab. Der Abbruch scheint ein willkürlicher zu sein. Erst wenn wir die konstitutive, in die Intentionalität des Bildbewußtseins selbst eindringende Analyse vollziehen, kann ersichtlich werden, warum wir hier schon so früh zu Ende kamen.

(*) E. Fink, “Vergegenwärtigung und Bild. Beiträge zur Phänomenologie der Unwirklichkeit”, in Studien zur Phänomenologie. 1930-1939, Den Haag, Nijhoff 1966 (Phaenomenologica, 21), pp. 74-78.

 

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